Blog St. Vincenz

Gesundheit und Krankheit aus Sicht der Seelsorge

Krankenhauspfarrer Franz-Josef Rose über seine Arbeit im St. Vincenz-Krankenhaus

Pastor Rose

Nachdem ich nun seit sechs Monaten meinen Dienst als Krankenhauspfarrer im St. Vincenz-Krankenhaus angetreten habe, möchte ich auf diesem Weg einige Gedanken erläutern, wie ich meine Aufgabe verstehe und wie ich mich als Seelsorger einbringen möchte.

Ich treffe hier auf Menschen mit verschiedenartigen und unterschiedlich schweren Krankheiten. Dabei hat die Krankheit jedes einzelnen Patienten auf der einen Seite einen medizinischen Aspekt, der von den zuständigen Ärzten und dem Pflegepersonal betrachtet wird. Aber es gibt einen Bereich, der über diesen Punkt hinaus geht und zwar die persönliche Verfassung, die die Krankheit begleitet. Ich sehe meine Aufgabe darin, den Patienten in ihrer Krankheit und in ihrem Schicksal beizustehen und zu helfen. An dieser Stelle könnte man die Fragen stellen: Was ist Krankheit? Wie kann man Krankheit deuten?

In einem empfehlenswerten Buch „Krankheit – Gesundheit – Heilung – Wege zum Heil aus biblischer Sicht“ schreibt Eberhard Schockenhoff (Mitglied im Deutschen Ethikrat in Berlin), dass jede Krankheit nicht nur Bedrohung und Gefahr ist, wenn der Kranke sie als Krankheit akzeptiert und in das eigene Lebensganze integriert und als Chance und Herausforderung sieht. Gesundheit gilt vielen Menschen als das höchste Lebensgut. Gesundheit und unbeschwerte Lebensfreude gehören heute zu den unverzichtbaren Voraussetzungen eines glücklichen Lebens. Dennoch wird diese Lebens-Freude durch die Gewissheit getrübt, dass das Leben begrenzt ist, dass Freude und Schmerz, Sorglosigkeit und Beschwernis, Gesundsein und Kranksein zum Menschsein dazugehört und einander oft auf unkalkulierbare Weise folgen.

Jede Krankheit bedeutet einen Einbruch in das Leben, eine mehr oder weniger tief greifende Erschütterung, die zugleich neue Kräfte für Leib und Seele freisetzen kann. Überwindet der Patient die Krankheit, so erfährt er sich in seiner Gesundheit gestärkt; in der Krankheit liegt dann die Chance, dass sie ihn zur Entdeckung neuer Existenzmöglichkeiten und zur Besinnung auf das führt, was im Leben wirklich trägt.

Weiter führt Schockenhoff in seinem Buch Theorien über Deutungsmuster für Krankheit und Heilung aus biblischer und theologischer Sicht auf. Der Kranke soll angeleitet werden, nach der Botschaft zu fragen, die durch die Krankheit zu ihm spricht: Krankheit und Kranksein sowie Heilwerden und Heilung sind aus der Sicht der Bibel nicht primär medizinische Phänomene, sondern sie werden als Metaphern verwendet, die auf Leid, Elend und Not als menschliche Grunderfahrungen verweisen.

Beziehung und Liebe können auch in Leid und Krankheit gelebt werden, zumal nach biblischem Verständnis keine menschliche Situation so ausweglos ist, dass sie den Kranken von der Liebe Gottes trennen kann (vgl. Röm 8,31-39). So ist weder die Gesundheit als das höchste Gut und als der immanente Sinn des Lebens anzusehen, noch die Krankheit als dessen äußerste Bedrohung zu fürchten, die alles Glück zunichte macht. Krankheiten gelten als Störung der schöpfungsmäßigen Integrität des Lebens, als Einbruch des Chaos in die Ordnung der Menschenwelt, ja als widergöttliche Mächte, während die zahlreichen Heilungserzählungen umgekehrt die Wiederherstellung einer zerbrochenen Ordnung und einen Hinweis auf das endgültige Heil bei Gott verkünden.

Zum Umgang des reifen Menschen mit der eigenen Krankheit gehört deshalb beides: der Wille zum Gesundwerden und die Bereitschaft, die Last der Krankheit zu ertragen, wenn sie sich nicht mehr abwenden lässt.
Tatsächlich gibt es Menschen, die durch eine schwere Erkrankung das Leben mit anderen Augen zu betrachten lernen. Sie sehen in der Krankheit nicht nur einen Feind, den es zu bekämpfen gilt. Auch wenn die Beeinträchtigungen schwer wiegen, die ihnen durch die Krankheit auferlegt sind, hilft sie ihnen doch, sich aus falschen Erwartungen an das Leben zu lösen, so dass sie die Krankheit um dieser Erfahrung willen nicht missen möchten. In diesem Sinn kann jemand mit seiner Krankheit sogar so vertraut werden, dass die ursprüngliche Bitte um Gesundheit schließlich zum Dankgebet für die durchlittene und nun heilsame Wandlung wird.
Krankheit kann zur Verzweiflung und zur Auflehnung gegen Gott führen. Sie kann aber auch dem Kranken den Blick dafür öffnen, was in seinem Leben wesentlich oder unwesentlich ist. So führen Krankheiten oft auch zur Suche nach Gott, zur Rückkehr zu ihm.

Wo beginnt nun unsere Aufgabe als Krankenseelsorger? Wir sind keine Ärzte und keine Psychiater. Wir sind auch keine Wunderheiler. Wir sind nur Seel-Sorger, vielleicht in manchen Fällen Seelen-Arzt. Wir sollten dem Patienten helfen, Frieden machen mit Gott und der Welt. Und so ein wenig zu heilen versuchen.

Bei den verschiedenartigen Krankheiten, die uns begegnen, können Patienten manchmal resignieren, verzweifeln oder daran zerbrechen. Wenn ein Patient medizinisch nicht mehr geheilt werden kann, besteht eine Möglichkeit, dass der Glaube helfen kann, eine Krankheit anzunehmen und damit zu leben. Krankheit und Kranksein heißt nicht automatisch, dass das Leben nicht mehr lebenswert ist. Die Patienten sollten in ihrer jeweiligen Situation durch Beistand, Begleitung und Gebet von uns Seelsorgern mitgenommen werden, jedoch muss Gott diesen Prozess begleiten. Durch den Glauben an Gott kann die Erkenntnis geschenkt werden, dass die Krankheit auch einen tieferen Sinn haben kann.

So versuche ich jeden Tag neu, meinen Dienst und all mein Tun immer auf Jesus Christus auszurichten. Es ist nicht der Mensch, der dem kranken Menschen hilft, sondern Jesus Christus. Als Seelsorger verstehe ich mich als sein Werkzeug.


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