Von großen Herausforderungen und wunderbaren Momenten
Anika Jakobi berichtete über ihre Hebammenausbildung, als sie kurz vor dem Abschluss stand

Ich erinnere mich noch lebhaft an meine Examensgeburt, sie ist erst ein paar Wochen her. Im Kreißsaal war eine Frau, die ihr zweites Kind zur Welt bringen sollte. Das Problem: Ihr Mann war nicht an ihrer Seite, sondern noch auf dem Weg von Hamburg nach Paderborn. Die Frau wollte ihren Partner unbedingt dabei haben und verkrampfte sich so sehr, dass es zu einem Geburtsstillstand kam. Ich habe lange mit ihr geredet und ihr klar gemacht, dass ich für sie da bin und dass sie es auch notfalls ohne ihn schafft, ihr Baby auf die Welt zu bringen. Während der letzten Presswehen ging dann die Tür auf und der Mann stand im Kreißsaal. Gott sei Dank habe ich gedacht. Was für ein Timing. Solche Augenblicke sind einfach wunderbar. Dann weiß ich zu hundert Prozent, dass ich den richtigen Beruf ergriffen habe. Manchmal verdrücke ich auch ein Tränchen, dann drehe ich mich schnell um und räume den Kreißsaal auf.
Eigentlich hatte ich nach dem Abitur ganz andere Pläne. Ich habe Jura studiert und wollte mich für die Rechte von Frauen einsetzen. Aber irgendwie habe ich gemerkt, dass dieses Studium nicht zu mir passt. Als meine jüngere Schwester dann mit 19 schwanger wurde und ihr Kind bekam, durfte ich bei der Geburt dabei sein. Es war wahnsinnig aufregend. Ich glaube, das war ein Schlüsselerlebnis für mich. Danach wusste ich, dass Hebamme der richtige Beruf für mich ist. Ich habe dann noch ein achtwöchiges Praktikum auf der Geburtsstation eines Krankenhauses und eins bei einer freiberuflichen Hebamme gemacht, um auf Nummer sicher zu gehen. Danach habe ich mich in Paderborn beworben und war sehr glücklich, dass ich genommen wurde. Es gibt nicht viele Hebammenschulen in Deutschland und die Hebammenschule des St. Vincenz-Krankenhauses in Paderborn hat einen sehr guten Ruf.
Jetzt habe ich fast drei Jahre hinter mir und bin unglaublich stolz, wenn ich mich bald „examinierte Hebamme“ nennen darf. In den nächsten Wochen stehen noch die schriftliche und die mündliche Prüfung an. Die Ausbildung ist sehr anspruchsvoll. Wir waren praktisch vom ersten Tag an mit im Kreißsaal. Natürlich immer mit einer erfahrenen Hebamme zusammen. Bis zum Examen müssen wir 40 Spontangeburten nachweisen, die wir selbstständig geleitet haben. Alles wird dokumentiert und wir werden von einer ausgebildeten Hebamme bewertet. Außerdem sind wir bei Kaiserschnitten dabei, arbeiten auf der Kinderintensiv- und der Säuglingsstation, auf der Wochenbett- und der Risikoschwangerenstation.
(...)Der Zusammenhalt in unserer Klasse sehr groß und die Atmosphäre in der Schule sehr familiär. Wir sind 19 junge Frauen in unserem Jahrgang, sieben haben uns seit Beginn der Ausbildung verlassen, weil der Beruf nicht das Richtige für sie war. Wir lachen in unserem Jahrgang sehr viel miteinander. Doch wir haben auch schon öfters miteinander geweint. Denn der Beruf hat nicht nur schöne Seiten. Die Belastung ist hoch und auch an die Schichtdienste muss man sich gewöhnen. Wir arbeiten auch am Wochenende und an Feiertagen. Das muss man mit dem Privatleben in Einklang bringen. Oft gibt es auch Situationen, die uns an unsere Grenzen bringen. Vor einiger Zeit habe ich die Geburt einer Flüchtlingsfrau begleitet. Sie und ihr Mann konnten gerade einmal Bitte und Danke auf Deutsch sagen. Die Frau hatte unglaubliche Schmerzen, doch wir durften ihr keine Medikamente geben, weil wir durch die fehlenden Sprachkenntnisse die Aufklärung über Risiken nicht vorschriftsmäßig durchführen konnten. Einen Dolmetscher gab es nicht. Die beiden haben viel geweint und ich fühlte mich unglaublich hilflos.
Eine andere Frau hat ihr Baby in der 39. Woche tot geboren, ich habe sie bei der Verabschiedung begleitet. Sie war sehr gläubig. Das hat ihr und letztendlich auch mir sehr geholfen. Solche Momente gehören zu unserem Beruf dazu. Sie sind traurig, aber auch wichtig. Wir müssen lernen nicht alle Erlebnisse mitzunehmen, aber immer einen kleinen Teil davon im Herzen zu bewahren.
(...)Ich habe mich entschlossen, nach der Ausbildung freiberuflich als Beleghebamme zu arbeiten. Trotz der hohen Haftpflichtversicherung von momentan rund 7.000 Euro pro Jahr, der unregelmäßigen Arbeitszeiten und einem Leben mit dem Bereitschaftstelefon. Ich steige in eine tolle Hebammenpraxis in Arnsberg ein und bin somit nicht ganz auf mich allein gestellt. Ich habe keine Angst vor der Zukunft, aber sicherlich Respekt. Besonders vor dem ganzen organisatorischen Aufwand bei der Selbstständigkeit. Aber wir sind in der Ausbildung auch darauf gut vorbereitet worden.
TERRITORY CTR GmbH; Text: Clarissa Lorz
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