Blog St. Vincenz

Ein ganz besonderes Tagebuch

Pflegefachkräfte der „Stroke Unit“ haben für ihre Patienten ein Tagebuch entwickelt. Es soll dabei helfen die Erkrankung besser zu verstehen, sie neu zu bewerten und zu verarbeiten. Johanna Bensick, Pflegerische Leitung der Station, berichtet:

Johanna Bensick (links) und Denise Walter (rechts) mit den neuen Tagebüchern der Stroke Unit.

Ein Schlaganfall ändert das Leben des Betroffenen und der Familienmitglieder von jetzt auf gleich. Denn Schlaganfälle ziehen in vielen Fällen weitere Erkrankungen mit sich: körperliche Behinderungen, Depressionen, Angststörungen, soziale Isolation oder sogar posttraumatische Belastungsstörungen sind nur einige Beispiele dafür. In der Akutphase des Schlaganfalls treten häufig sogenannte Vigilanzminderungen auf, die einige Tage anhalten können. Darunter versteht man eine Bewusstseinsstörung, die sich durch reduzierte Wachheit, verminderte Aufmerksamkeit und eine geringe Reaktionsbereitschaft äußert. Diese Situationen können für die Betroffenen zurückblickend beängstigend sein, da die Erinnerungen mitunter sehr verzehrt sind.

In der Gesundheitswissenschaft beschäftigen wir uns immer wieder mit Aaron Antonovskys Modell der Salutogenese:  Auf dem Weg zur Genesung muss sich der Patient mit dem Erlebten beschäftigen, er muss die Krankheit verstehen, er muss lernen damit umzugehen und schließlich der neuen Lebenssituation einen neuen Sinn geben. Nur wenn dies erfolgt, wird sich der Patient, auch mit bleibender Einschränkung, sich wieder wohl/gesund fühlen.

Auf dieser Grundlage basierend ist bei uns die Idee gewachsen, ein „Stroke Unit Tagebuch“ für schwer betroffene Patienten, Patienten mit Vigilanzstörungen und Patienten im Delir zu schreiben. So soll den Patienten und ihren Angehörigen im Nachhinein die Möglichkeit gegeben werden, die Erkrankung besser zu verstehen, sie neu zu bewerten und zu verarbeiten.

Der Patient entscheidet selbst, ob und wann er das sehr persönliche Tagebuch lesen möchte. Das Tagebuch kann von dem Patienten selbst, den Angehörigen oder von den Mitarbeitern der Station geschrieben werden. Das können Gefühle, Gedanken oder Beschreibungen des täglichen Fortschrittes sein. Das Tagebuch wird dem Patienten zum Ende der Stroke Unit Behandlung ausgehändigt.

Die meisten Einträge werden vom Pflegepersonal verfasst, da sich das Pflegeteam als Ziel gesetzt hat, einmal pro Schicht einen Eintrag zu verfassen. Die Therapeuten der verschiedenen Disziplinen schreiben ebenfalls gerne Einträge und auch das Ärzteteam nutzt das Tagebuch zunehmend. Die Einträge sind nicht zwingend lang und ausschweifend. Der erste Tagbucheintrag ist meistens etwas länger, da zu Beginn des Tagebuchs die Situation beschrieben wird, warum der Patient ins Krankenhaus und auf die Stroke Unit gekommen ist. Die ersten Behandlungen unserer Teams werden häufig von den Patienten als hektisch und stressig empfunden. Das liegt oft an dem bewusstseinsveränderten Zustand des Patienten. Doch durch das Tagebuch und entsprechende objektiven Beschreibungen der eigentlichen Situation kann der Patient im Nachhinein das Erlebte neu bewerten und ggf. Ängste wieder abbauen.

In der Zeit des absoluten Besuchsverbots haben Angehörige manchmal auch Briefe geschrieben. Diese Briefe hat das Pflegepersonal dann in Absprache mit den Angehörigen, dem Patienten vorgelesen und im Anschluss diese Briefe mit in das Tagebuch geheftet. An der direkten Reaktion (Gestik/Mimik) der Patienten konnte erfahren werden, wie wertvoll und berührend dies Form des Zuspruchs für die Patienten war.

Besonders schön und hilfreich für die Patienten ist es, wenn Angehörige ebenfalls Einträge verfassen. Aber auch für die Angehörigen selbst scheint es eine Hilfe zu sein, ihre Gefühle und ihre Gedanken zu formulieren und niederzuschreiben. Denn oft fühlen sich die Angehörigen in einer solchen Situation selbst hilflos und möchten so gerne ihrem geliebten Menschen etwas Gutes tun. Sie wissen aber nicht wie. Wenn Angehörige dann selbst aktiv am Tagebuch mitwirken, haben sie das Gefühl etwas Gutes und Sinnvolles für ihren Angehörigen getan zu haben.

Das Tagebuch zeigt den Patienten und den Angehörigen, dass sie in der Ausnahmesituation nicht alleine waren. Dass sich viele Menschen in guter Weise um sie gekümmert haben. Dass auf sie geachtet wurde. Dass ihre Bedürfnisse, auch wenn sie diese nicht verbal äußern konnten, wahrgenommen wurden. Das Tagebuch drückt einfach unendlich viel Menschlichkeit und echtes Mitgefühl aus.

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